In den letzten Jahren ist das Thema lebenslanges Lernen und die Zusammenarbeit mit Generativer Künstlicher Intelligenz (KI) immer wichtiger geworden. Das Konzept der hybriden Intelligenz, das darauf abzielt, die Fähigkeiten bzw. Intelligenz von Menschen mit maschineller Intelligenz zu erweitern, anstatt sie zu ersetzen, wird als Schlüssel angesehen, um effektiver zu lernen und besser zusammenzuarbeiten. Trotz des grossen Interesses an diesem Thema gibt es bisher nur wenige Studien, die genau untersuchen, wie das Lernen mit hybrider Intelligenz funktioniert.
Ein wichtiger Bestandteil dieser Forschung ist die Selbstregulation von Lernenden, also die Fähigkeit, das eigene Lernen zu steuern und zu überwachen. Wie Lernende Unterstützung von verschiedenen Quellen, einschliesslich Generativer KI, annehmen, kann grossen Einfluss auf ihre Motivation, ihre Lernprozesse und letztendlich auch auf ihre Leistungen haben.
In einer neue Studie von Fan et al. (2024) im British Journal of Educational Technology wurde daher untersucht, welche Auswirkungen das Lernen mit Generativer KI auf die Motivation, die Selbstregulationsprozesse und die Leistungen der Lernenden hat. Dazu wurde ein Experiment durchgeführt, bei dem verschiedene Gruppen von Lernenden unterschiedliche Arten von Unterstützung erhielten. Ziel ist es, besser zu verstehen, wie Lernende mit Technologie interagieren und welche Folgen dies für ihr Lernen hat.
Die Studie: 4 Versuchsgruppen – unterschiedliche Unterstützung
117 Universitätsstudierenden nahmen von Juli bis September 2023 an einem Experiment teil, in welchem sie gebeten wurden eine zweistufige englisch Lese- und Schreibaufgabe zu bearbeiten. Englisch war für alle Teilnehmenden eine Zweitsprache, die erste Sprache war Chinesisch. Dabei wurden vier Gruppen nach dem Zufallsprinzip gebildet, die unterschiedliche Unterstützung erhielten:
Ohne externe Hilfe (Kontrollgruppe): 30 Teilnehmende
Mit ChatGPT 4.0 (KI-Gruppe): 35 Teilnehmemde
Mit menschlichem Expertenfeedback (Expertengruppe): 25 Teilnehmende
Mit dem Schreibanalyse-Toolkit namens Checklist Tools (Checklisten-Gruppe): 27 Teilnehmende
Ziel war es, Unterschiede in Motivation, Selbstreguliertem Lernen (SRL) und Lernerfolg zu analysieren.
Ergebnisse: Verbesserte Leistung, aber auf Kosten metakognitiver Prozesse?
Die Studie liefert aufschlussreiche Erkenntnisse:
Intrinsische Motivation: Die Studie untersuchte die Auswirkungen von Unterstützung durch Künstlicher Intelligenz (ChatGPT 4.0), menschlichen Expert*innen, Checklisten-Tools und ohne Unterstützung (Kontrollgruppe) auf die intrinsische Motivation der Lernenden, und es gab keine signifikanten Unterschiede in der intrinsischen Motivation zwischen den vier Gruppen.
Selbstreguliertes Lernen: Alle Gruppen nutzten beim Überarbeiten ihrer Texte verstärkt Strategien, um Inhalte besser zu verstehen, zu strukturieren und sich zu orientieren. Die Gruppe mit Checklisten setzte zusätzlich stärker auf die Bewertung und Reflexion ihrer eigenen Arbeit. Auffällig war, dass die Gruppe mit KI-Unterstützung seltener solche metakognitive Denkprozesse ausführte, weil die Lernenden viele Entscheidungen und Überlegungen an die KI abgaben. Dieses Verhalten wird als «metakognitive Faulheit» bezeichnet, da die starke Abhängigkeit von KI die Fähigkeit zur selbstständigen Steuerung des Lernprozesses verringern kann.
Lernerfolg: Die KI-Gruppe schrieb zwar deutlich bessere Essays, konnte das Gelernte aber nicht besser auf neue Aufgaben übertragen (Wissenstransfer) als die anderen Gruppen. Das zeigt, wie wichtig es ist, das eigene Lernen selbst zu steuern, um Wissen langfristig anwenden zu können. Es wurden keine signifikanten Unterschiede beim Wissenszuwachs oder Wissenstransfer festgestellt.
Was bedeutet das für die Bildungspraxis?
Die Ergebnisse legen nahe, dass KI zwar kurzfristig Lernleistungen verbessern kann, langfristig aber Selbstregulationsfähigkeiten schwächen könnte. Die Studie zeigt, dass ChatGPT das Potenzial hat, die Aufsatzergebnisse zu verbessern und andere Gruppen, einschliesslich der von menschlichen Experten geleiteten, deutlich zu übertreffen. Es gab jedoch keine signifikanten Unterschiede beim Wissenszuwachs oder -transfer, was darauf hindeutet, dass ChatGPT zwar die kurzfristige Aufgabenleistung verbessern kann, aber möglicherweise nicht die intrinsische Motivation oder die langfristigen Lernergebnisse fördert. Die Studie wirft auch Bedenken hinsichtlich metakognitiver Faulheit auf, bei der die Lernenden sich zu sehr auf die KI verlassen, was ihre Fähigkeit zur Selbstregulierung und zum intensiven Lernen beeinträchtigen könnte.
Michael Lutz schafft es in seinem LinkedIn-Post wichtige Schlussfolgerungen für die Praxis auf den Punkt zu bringen:
- «Für Lernende: Nutzt KI als Werkzeug zur Vertiefung des Verständnisses und nicht nur zur Effizienzsteigerung. Aktive Metakognition (Bewerten, Überwachen, Orientieren) ist entscheidend.»
- «Für Lehrende: Überdenkt den sinnvollen Einsatz von KI in Lernaufgaben und achtet darauf, die intrinsische Motivation der Lernenden zu fördern und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff zu unterstützen.»
- «Für Forschende: Wir brauchen weitere Studien, die untersuchen, wie Lernende ethisch und effektiv mit KI lernen, sich selbst regulieren, zusammenarbeiten und weiterentwickeln können.»
Beobachte dich selbst bei der Nutzung von Generativer KI: Wie gestaltest du deine Schreibprozesse? Nutzt du die KI gezielt, um dein Wissen zu erweitern oder dient dir die KI lediglich der Effizienzsteigerung?
Unser Fazit: Generative KI wie ChatGPT 4.0 macht das Schreiben schneller und die Texte oft besser – aber der eigentliche Wissenszuwachs und -transfer bleiben auf der Strecke! Schneller schreiben heisst nicht besser lernen 😉
AG Trendscouting