Der Umgang mit Smartphones durch Kinder und Jugendliche ist seit Jahren ein Dauerthema und erfährt immer wieder neue Aufmerksamkeit. In letzter Zeit ist die Diskussion darüber erneut in den Fokus gerückt. Dabei steht nicht nur der Umgang mit diesen Geräten zuhause zur Debatte, sondern auch die Rolle von Smartphones in der Schule. Einerseits sollen Kinder und Jugendliche wichtige Medienkompetenzen erwerben, um sicher und verantwortungsbewusst mit digitalen Technologien umzugehen. Andererseits besteht die Herausforderung darin, dass sie nicht zu stark von diesen Geräten abhängig werden.

Die digitale Selbstkontrolle ist bereits für Erwachsene schwierig, für Kinder und Jugendliche demnach noch herausfordernder. Fachleute schätzen, dass in der Schweiz bis zu 300’000 Kinder und Jugendliche einen problematischen Umgang mit dem Handy haben oder sogar süchtig sind. Ein mögliches Beispiel ist Tim, der täglich ohne Einschränkungen bis zu acht Stunden und mehr auf Snapchat, Spotify, WhatsApp und Instagram verbringt. Im Schnitt sind Jugendliche rund drei Stunden pro Tag am Handy. Das Thema Handysucht beschäftigt sowohl Eltern sowie als auch Lehrpersonen – und ist ein wichtiges Thema! Dieses Online-Verhalten, das junge Menschen nicht mehr im Griff hätten, nehme von Jahr zu Jahr zu. Allerdings gibt es bislang noch keine offizielle Definition der Handysucht. Martin Meier, Psychiater für Verhaltenssüchte, definiert in der Sendung von Kassensturz eine Sucht aus medizinischer Sicht wie folgt:

  1. Es tritt ein Kontrollverlust auf, das heisst, man kann nicht aufhören, obwohl man es möchte.
  2. Es entstehen negative Folgen, wie etwa Konflikte mit Gleichaltrigen, der Familie oder anderen wichtigen Personen.
  3. Prioritäten werden verschoben, wobei das Handy Vorrang bekommt und andere Interessen, wie Hobbys, vernachlässigt werden.
Treten diese drei Faktoren in Verbindung mit Social Media auf, spricht Meier von einer Sucht. Die Hirnforscherin Frederike Petzschner erklärt, warum Social-Media-Inhalte süchtig machen können. Jedes kurze Video führe zu einer Aktivierung des Belohnungssystems und zur Ausschüttung von Dopamin im Gehirn. Wie interessant die Inhalte sind, sei dabei zweitrangig. Das Gehirn gewöhnt sich an die Dopaminausschüttung, und um den gleichen Effekt zu erzielen, muss die Dosis allmählich erhöht werden. Was die Social-Media-Sucht langfristig in den Köpfen der Jugendlichen bewirkt, ist noch unklar.
 

Die Verantwortung für die Medienerziehung sollte nicht allein durch technische Lösungen wie z. B. Zeitbeschränkungen delegiert werden. Erziehungsberechtigte und andere Erwachsene spielen eine entscheidende Rolle, indem sie regelmässig mit Kindern und Jugendlichen im Dialog bleiben – über ihre Nutzung digitaler Medien, ihre Interessen und ihre Erlebnisse. Nur so kann ein umfassendes Verständnis dafür entstehen, was die jungen Menschen bewegt. Daniel Betschart von Pro Juventute schlägt dabei folgende konkrete Handlungsoptionen vor:

  • Kinder und Jugendliche aktiv begleiten und die Beziehung aufrechterhalten, auch wenn es schwierig wird – gemeinsame Gespräche über digitale Medien
  • Regeln zur Mediennutzung vereinbaren, bestenfalls gemeinsam
  • Alternativen bieten, z.B. medienfreie Zonen für andere Erlebnisse
 

Bestseller «The Anxious Generation» – was sagt Haidt zum Smartphone?

Jonathan Haidt gibt im Gespräch sowie in seinem Buch «The Anxious Generation» (dt. «Generation Angst») einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen von Smartphones auf die Kindheit und die psychische Gesundheit. Er diskutiert den signifikanten Wandel von einer spielerischen (engl. «play-based») zu einer telefonbasierten (engl. «phone-based») Kindheit und hebt die Auswirkungen auf soziale Fähigkeiten, psychische Gesundheit und Unabhängigkeit hervor. Er betont die Bedeutung kollektiven Handelns bei der Veränderung von Normen im Zusammenhang mit der Smartphone-Nutzung, insbesondere in Schulen, und die wichtige Rolle von Spielen und realen Interaktionen in der kindlichen Entwicklung.

Besonders besorgniserregend ist laut Haidt der plötzliche und signifikante Anstieg von psychischen Problemen bei Jugendlichen, der um das Jahr 2012 beginnt. Insbesondere Mädchen sind von den negativen Auswirkungen der sozialen Medien betroffen. Er spricht von einem «Hockeyschläger-Effekt» – einem plötzlichen Anstieg in den Statistiken zu Depressionen, Angstzuständen und Selbstverletzungen –, der weltweit sichtbar ist. Haidt führt dies auf den Einfluss der Smartphones und sozialen Medien zurück.

«We’ve overprotected kids in the real world, while underprotecting them online.»

Haidt betont auch, dass diese Entwicklungen in der Kindheit eng mit einer überprotektiven Erziehungskultur zusammenhängen. Eltern sind heute ängstlicher, ihre Kinder draussen spielen zu lassen, und neigen dazu, sie vor realen Gefahren übermässig zu schützen. Gleichzeitig haben sie jedoch oft nicht den gleichen Schutz in der digitalen Welt. Diese Überbehütung im realen Leben und Unterbehütung online hat dazu geführt, dass Kinder wichtige Erfahrungen im Umgang mit der realen Welt und dem Treffen eigener Entscheidungen verlieren.

Als Lösung plädiert Haidt für kollektives Handeln. Er ist der Meinung, dass Eltern allein nicht viel bewirken können, aber wenn Gemeinschaften und Schulen zusammenarbeiten, um smartphone-freie Umgebungen zu schaffen, könnten Kinder ihre Kindheit wieder zurückgewinnen. Es sei entscheidend, dass Kinder die Möglichkeit haben, im echten Leben zu spielen, Fehler zu machen und daraus zu lernen – ohne die ständige Angst vor öffentlicher Bewertung und Kritik, die durch soziale Medien verstärkt wird.

«The solution lies in collective action. One family alone can’t go phone-free, but if a community or school takes this step together, it can be transformative.»

Was nun: Handy in der Schule – Ja oder Nein?

Die Nutzung von Handys in der Schule sollte differenziert betrachtet werden. Auf der einen Seite bieten Smartphones nützliche Lernwerkzeuge, fördern digitale Kompetenzen und erleichtern den Zugang zu Informationen. Sie können den Unterricht bereichern, wenn sie gezielt für Recherche oder kollaborative Arbeiten eingesetzt werden. Auf der anderen Seite bergen Handys auch Risiken wie Ablenkung, Abhängigkeit und negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, insbesondere durch Social-Media-Nutzung. 

Eine differenzierte Lösung könnte darin bestehen, klare Regeln zur Smartphone-Nutzung im Unterricht aber auch zuhause zu etablieren. Dies könnte durch zeitlich und inhaltlich begrenzte Handynutzung geschehen, begleitet von Medienbildungsmassnahmen. Zudem können Handy-freie Zeiten und Zonen in der Schule eingeführt werden, um Raum für echte soziale Interaktionen und ungestörtes Lernen zu schaffen. Laut Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), funktioniert der Umgang mit Smartphones und digitalen Medien an den meisten Schweizer Schulen gut. Geregelt wird der Umgang von den einzelnen Gemeinden und Schulen.

Die Verantwortung dafür liege allerdings nicht nur bei den Schulen, sondern auch bei Erziehungsberechtigten und der gesamten Gesellschaft. Durch gemeinsames Handeln – wie es Haidt vorschlägt – könnten wir eine ausgewogenere Balance zwischen digitaler Bildung und kindlicher Entwicklung finden, ohne dabei den Schutz der psychischen Gesundheit zu vernachlässigen.

Ein weiterer aktueller Podcast bespricht die Thematik:

Welche Erfahrungen machst du? Was empfindest du als einen gesunden Umgang mit Smartphone und digitalen Medien? 

Quellen:

Haidt, J. (o.J.). Jonathan Haidt. [30.9.24]

Kassensturz (2024). Im Bann von TikTok Instagram und Co. [30.9.24]

Pro Juventute (o.J.). Da für Eltern. Auch bei Sorgen um ihre Teenager. [30.9.24]

The Anxious Generation (o.J.). The Anxious Generation. [30.9.24]

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adresse

PHBern
Netzwerk Digitale Transformation
Think Tank Medien und Informatik
CH-3012 Bern

Kontakt

ttim@phbern.ch
+41 31 309 28 95