Die neuste Publikation der PISA-Studie 2022 «Volume III, Creative Minds, Creative Schools» – ist einer von fünf Bänden, in denen die Ergebnisse der achten Runde der PISA-Studie vorgestellt werden. Mit dem PISA-Test 2022 zum kreativen Denken wurde die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler bewertet, originelle und vielfältige Ideen in vier verschiedenen Bereichen zu entwickeln, zu bewerten und zu verbessern:
- schriftlicher Ausdruck
- visueller Ausdruck,
- wissenschaftliches Problemlösen und
- soziales Problemlösen
Die Ergebnisse zeigten, dass die Schülerinnen und Schüler in Singapur mit einem Durchschnitt von 41 von 60 Punkten im kreativen Denken führend ist. Weitere 11 Länder, darunter Korea, Kanada und Australien, lagen ebenfalls über dem OECD-Durchschnitt von 33 Punkten. Die Schweiz kommt in dieser Auflistung nicht vor, da keine Daten vorlagen.
Im Allgemeinen schnitten Länder, die im kreativen Denken gut abschnitten, auch in den PISA-Kernbereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften überdurchschnittlich ab. Ausnahmen sind Portugal, Belgien und Estland, die beim Lesen nur durchschnittlich abschnitten. Allerdings bedeutet eine starke Leistung in den Kernbereichen nicht automatisch, dass diese Länder auch im kreativen Denken stark sind. Beispielsweise erzielten die Tschechische Republik, Hongkong, Macau und Chinesisch-Taipeh in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften hohe Werte, lagen aber im kreativen Denken nur im oder unter dem Durchschnitt. Hohe Leistungen in den Kernbereichen garantieren somit keine hohen Leistungen im kreativen Denken.
Über die Durchschnittswerte und Ranglisten hinaus können die Ergebnisse von PISA 2022 den politischen Entscheidungsträger*innen zeigen, wo sie ansetzen müssen, um die Schüler im kreativen Denken zu fördern.
Einige Einblicke in die Ergebnisse: Wo liegt die Schweiz?
Die Schweiz wird im Grossteil der Ergebnisdarstellung der PISA 2022 Volume 3 nicht gelistet, da nur Länder und Volkswirtschaften mit verfügbaren Daten gezeigt werden. Erst im Kapitel 5 und 6 kommt die Schweiz in den Diagrammen vor.
Während das Kapitel 5 untersucht, welche Überzeugungen 15-jährige Schülerinnen und Schüler über Kreativität und ihr eigenes kreatives Potenzial haben und wie diese mit ihren kreativen Denkfähigkeiten zusammenhängen, wird im Kapitel 6 untersucht, wie das Umfeld von 15-jährigen Schüler*innen in der Schule und zu Hause ihre Fähigkeit zu kreativem Denken beeinflusst. In diesem Beitrag werden die Vorstellungen von Schulleitern, Lehrpersonen und Schüler*innen über Kreativität verglichen.
Einige der Ergebnisse aus dem Beitrag der PISA-Studie 2022 werden im Folgenden vorgestellt:
Kapitel 5: Überzeugungen über Kreativität
Glauben 15-jährige Schüler*innen auf der ganzen Welt, dass Kreativität nur in der Kunst vorkommt oder dass sie in vielen verschiedenen Kontexten angewendet werden kann? Glauben sie, dass Kreativität einfach ein angeborenes Talent ist oder eher eine Fähigkeit, die sie durch Übung entwickeln können?
Die PISA-Studie gibt es interessante Einblicke in die Überzeugungen der Schüler*innen zu diesen Fragen.
Schülervorstellungen über Kreativität
Abbildung III.5.2. zeigt, dass viele Schüler*innen glauben, in fast jedem Fach kreativ sein zu können. In der Schweiz liegen die Schüler*innen in dieser Überzeugung über dem OECD-Durchschnitt und belegen den 9. Platz. Dabei denken etwa 85% der Jungen und 87% der Mädchen, dass Kreativität in vielen Fächern möglich ist.
Schüler mit positiver Einstellung zu Kreativität und Wachstum
Ein weiteres interessantes Ergebnis liefert Abbildung III.5.4., die untersucht, wie viele Schüler*innen je nach ihrem sozioökonomischen Status eine Wachstumsmentalität in Bezug auf Kreativität haben. Diese Wachstumsmentalität bedeutet, dass sie glauben, Kreativität sei veränderbar und entwickelbar. Hier liegt die Schweiz unter dem OECD-Durchschnitt auf Platz 30. Etwa 48% der Schülerinnen und Schüler in der Schweiz sind der Meinung, dass man Kreativität verändern kann. Bemerkenswert ist, dass es kaum Unterschiede zwischen den Aussagen von benachteiligten und privilegierten Schülern gibt.
Kapitel 6: Schulklima und Kreativität
Glauben Pädagogen, dass Kreativität und kreatives Denken wichtig sind? Sind die Schulleitenden der Meinung, dass ihre Schule und das Schulpersonal Raum für Kreativität bieten, und stimmen diese Überzeugungen mit dem überein, was die Schüler*innen über ihr schulisches Umfeld denken?
In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, wie offen die Schule für Kreativität ist und wie ein günstiges Schulklima mit den Leistungen der Schüler im kreativen Denken zusammenhängt.
Wachstumsorientierung von Schülern und Schulleitern in Bezug auf Kreativität
In einem spannenden Vergleich zeigt Abbildung III.6.2., wie Schüler *innen und Schulleitende in Bezug auf Kreativität denken. Es wird untersucht, ob sie Kreativität als veränderbare Fähigkeit oder als festes Talent betrachten.
In der Schweiz glauben zwischen 45-50% der Schüler*innen, dass ihre Kreativität nicht stark verändert werden kann. Interessanterweise sind die Schulleitenden in der Schweiz optimistischer: Zwischen 80-90% von ihnen sind der Meinung, dass Kreativität trainiert werden kann. Mit diesen Einstellungen liegen die Schweizer Schüler*innen sowie Schulleitenden über dem OECD-Durchschnitt und belegen den 21. Platz.
Schüler*innenbewertung der Massnahmen zur Förderung kreativen Denkens
Abbildung III.6.3. zeigt, wie Schüler*innen den Einsatz pädagogischer Massnahmen zur Förderung kreativen Denkens wahrnehmen. In der Schweiz geben 50-60% der Schüler*innen an, dass ihre Lehrperson sie ermutigen, originelle Antworten zu geben. Zudem berichten 60-65% der Schüler*innen, dass ihnen genug Zeit gegeben wird, um kreative Lösungen für Aufgaben zu finden.
Die Schweiz liegt unter dem OECD-Durchschnitt und belegt nur den 58. Platz. Diese Ergebnisse zeigen, dass es noch Potenzial für Verbesserungen gibt, um die kreative Entfaltung der Schüler*innen weiter zu fördern.
Ansichten zu Massnahmen zur Förderung kreativen Denkens durch Lehrpersonen
Abbildung III.6.4. zeigt, wie Schüler*innen und Schulleitende die Massnahmen zur Förderung des kreativen Denkens durch Lehrpersonen bewerten. Die Schweiz befindet sich im Streudiagramm im unteren linken Bereich. Dies bedeutet, dass sowohl Schüler*innen wie auch Schulleitende der Meinung sind, dass relativ wenig Methoden zur Kreativitätsförderung eingesetzt würden.
Die Schweiz lieg hier unter OECD-Durchschnitt und scheint im Vergleich zu vielen anderen Ländern weniger kreative Denkmethoden in der Bildung zu nutzen.
Ansätze für die Förderung von kreativem Denken im Bildungssystem
Damit kreatives Denken in der Bildung wirklich gefördert wird, müssen alle, die damit zu tun haben, wissen, was kreatives Denken ist, wie Schüler*innen kreative Denkfähigkeiten entwickeln können und wie man ihre Fortschritte messen kann.
Wenn Lehrpläne und Lernfortschritte neu definiert werden, um diese Ziele zu erreichen, kann das die Entwicklung von kreativem Lehren und Lernen erleichtern. Leistungsstarke Systeme im Bereich kreatives Denken haben oft mindestens zwei der folgenden vier Ansätze umgesetzt, um Kreativität und kreatives Denken in der Bildung zu fördern:
Einbettung von kreativem Denken in den Lehrplan: Kreatives Denken wird weltweit zunehmend in Lehrpläne aufgenommen, jedoch fehlen oft klare Leitlinien zur Umsetzung. Nur wenige Länder bieten strategische Unterstützung. Länder wie Dänemark, Korea, Singapur, Kanada und Australien haben kreatives Denken als Kern ihrer Bildungsreformen etabliert und durch strategische Dokumente und Ressourcen unterstützt.
Unterstützung von Pädagog*innen: Einige Länder bieten detaillierte Leitlinien, um Lehrpersonen bei der Erkennung und Entwicklung kreativen Denkens zu helfen. Australien hat ein «Lernkontinuum für kritisches und kreatives Denken» entwickelt, um die Fortschritte der Schüler*innen zu bewerten. Kanadische Provinzen haben ähnliche Leistungsstandards eingeführt.
Schaffung von Gelegenheiten für kreative und/oder interdisziplinäre Arbeit: Um kreatives Denken zu fördern, reduzieren einige Länder die Pflichtfächer (z.B. Korea) oder bieten praktische Kurse an. Finnland integriert interdisziplinäre Module in den Lehrplan, Singapur bietet interdisziplinäre Projekte an, und Neuseeland fördert kreative Zusammenarbeit durch die «Creatives in Schools»-Initiative, in welcher Kreativschaffende mit Schüler*innen zusammenarbeiten und diese in ein längeres Projekt einbinden, um ihr kreatives Denken und ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu entwickeln.
Förderung der Rechenschaftspflicht durch Bewertung: Wenige Länder bewerten kreatives Denken standardisiert. Eine Ausnahme ist der australische Bundesstaat Victoria, der seit 2016 kritisches und kreatives Denken an Schulen bewertet. Diese Bewertungen unterstreichen die Bedeutung kreativen Denkens und fördern dessen Anerkennung im Bildungssystem.
Was machst du, um kreative Denkweisen im Unterricht zu fördern? Welche Methoden kennst du und hast du schon eingesetzt? Was sind deine Erfahrungen damit? Teile es mit uns in den Kommentaren!
Quellen:
OECDilibrary (2024). PISA 2022 Results (Volume III). Creative Minds, Creative Schools. [20.6.24]