Schweden macht einen Schritt zurück in Richtung traditioneller Lehrmittel und verabschiede sich teilweise von der Digitalisierung im Klassenzimmer. Was steckt dahinter?

Der Bericht von SRF «Digitaler Marschhalt für Schulen im grössten nordischen Land» lässt aufhorchen. Er beschreibt, dass Schweden, das grösste nordische Land, nach Jahren der intensiven Digitalisierung im Bildungsbereich einen Kurswechsel vollzieht und in Zukunft wieder vermehrt auf traditionelle Lehrmittel mit Papier und Stift setzen will. Grund dafür sind die negativen Auswirkungen der Digitalisierung, wie beispielsweise die Ablenkung der Schüler*innen durch soziale Medien. Die konservative Regierung des Landes hat bei der staatlichen Schulbehörde Skolverket einen neuen Lehrplan in Auftrag gegeben, der den verstärkten Einsatz traditioneller, nicht-digitaler Lehrmittel fördert. Dieser Lehrplan soll im kommenden Jahr landesweit eingeführt werden. Der Lehrplan sieht vor, den Einsatz von digitalen Hilfsmitteln vor allem in den unteren Klassenstufen stark einzuschränken. Schüler*innen und Lehrpersonen begrüssen den «digitalen Marschhalt», der zu einem zielgerichteteren Unterricht beitragen soll.

Auswirkungen auf die Schweizer Bildungslandschaft

Doch was bedeutet dies für die Schweiz? Heisst das, wir müssen umsteuern und die Digitalisierung in den Schulen bremsen?

Auf der Website «Argumente gegen das Digitale in der Bildung» wird diese Thematik ausführlich behandelt. Insbesondere das «Schweden-Argument» wird häufig herangezogen, denn das Land gilt als Vorreiter bei der Einführung digitaler Lehrmethoden. Eine prototypische Schlussfolgerung: Wenn Schweden als Vorreiterland jetzt eine Kehrtwende macht, sollte die Schweiz diesem Beispiel folgen.

Doch so einfach ist es nicht. Der Sachverhalt ist weitaus komplexer, und solche verallgemeinernden Aussagen werden der Situation nicht gerecht. Der Schweizer Bildungsexperte Beat Döbeli Honegger, Leiter des Instituts für Medien und Schule an der Pädagogischen Hochschule Schwyz, ordnet diese Argumente auf differenzierte Weise ein. Döbeli Honegger beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit der Frage, wie die Bildung auf die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche reagieren sollte. Seine Analysen tragen dazu bei, ein ganzheitlicheres Bild der Situation zu erhalten und die Faktoren zu identifizieren, die für eine erfolgreiche Digitalisierung an Schulen entscheidend sind. Denn eines ist klar: Eine reine Ausstattung mit digitalen Geräten führt nicht zwangsläufig zu einem besseren Unterricht.

 

Eine reine Ausstattung mit digitalen Geräten führt nicht zwangsläufig zu einem besseren Unterricht.

Aussagen aus dem SRF-Beitrag

Der Kurswechsel in Schweden basiert auf den Erfahrungen und Erkenntnissen, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Schulen gesammelt wurden. Während Schweden lange Zeit als Vorreiter bei der Einführung digitaler Lehrmethoden galt, sei deutlicher geworden, dass diese nicht nur Vorteile, sondern auch Herausforderungen und Probleme mit sich bringen. Im SRF-Artikel wird das mit Aussagen des Bildungsdirektors sowie von Schüler*innen unterstrichen:

  1. Ablenkung durch digitale Plattformen: Lehrpersonen und Verantwortliche, wie Peter Karlberg, der Bildungsdirektor bei Skolverket, berichten, dass viele Schüler*innen während des Unterrichts durch digitale Geräte abgelenkt werden. Anstatt dem Unterricht zu folgen, nutzen sie soziale Medien wie TikTok. Dies hat zur Folge, dass der Fokus vom Lernen weg verlagert wird und die Schüler*innen nicht optimal am Unterricht teilnehmen würden.

  2. Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI): Schüler*innen wie Giuliano erwähnen, dass digitale Technologien, insbesondere KI, den Unterricht verkomplizieren. Es würde schwieriger für Lehrpersonen, den Lernerfolg der Schüler*innen objektiv zu bewerten, da KI-basierte Hilfsmittel genutzt werden könnten, um z.B. bei Aufgaben zu schummeln.

  3. Mangelnder Lernerfolg und Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität: Schülerin Mira hebt hervor, dass die Erwartungen an die Digitalisierung oft nicht mit der Realität übereinstimmen. Trotz der fortschrittlichen Technologien verbessert sich der Unterricht nicht unbedingt, sondern kann sogar schlechter werden, wenn die digitale Nutzung ineffektiv oder ablenkend ist.

Diskussion über die Schritte in Schwedens Bildung

Beat Döbeli Honegger gibt wertvolle Denkanstösse zur Frage, wie eine nachhaltige, lernförderliche und gesunde Digitalisierung an Schweizer Schulen gestaltet werden kann. Seine Überlegungen laden dazu ein, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Die wichtigsten Argumente, die auf der Website präsentiert werden, bieten einen guten Ausgangspunkt für diese Auseinandersetzung. Darüber hinaus ist die Seite eine Fundgrube an weiteren verbreiteten Meinungen und Argumenten rund um das Thema, die Honegger kritisch einordnet. Für alle, die sich mit der Digitalisierung im Bildungsbereich beschäftigen oder sich ein umfassenderes Bild der Lage verschaffen wollen, ist ein Blick auf die Website sehr zu empfehlen. Hier sind seine geteilten Standpunkte zum «Schweden-Argument»:

  • Die Entwicklung in Schweden geschah als Folge eines Regierungswechsels und ist ein politischer Entscheid, keine wissenschaftliche Evidenz
    Der Kurswechsel in Schwedens Bildungspolitik erfolgte nach einem Regierungswechsel und ist mindestens zum Teil politisch motiviert. Die rechtsbürgerliche Regierung nutze die Abkehr von der Digitalisierung, um ein Zeichen für «traditionelle Werte» zu setzen, z.B. durch die Wiedereinführung von Disziplinnoten und Schönschreibunterricht. Ähnliche Schritte wurden auch in anderen rechtskonservativen Regierungen beobachtet.
  • Bei der oft zitierten Publikation des Karolinksa-Instituts handelt es sich um eine Stellungnahme und keine Studie
    Oft wird eine Stellungnahme des Karolinska-Instituts als Begründung für den Richtungswechsel herangezogen. Es handelt sich jedoch nicht um eine wissenschaftliche Studie, sondern um eine Meinungsäusserung zu einem spezifischen Projekt in Schweden und nicht zu Digitalem in der Schule im Allgemeinen, verfasst von Nicht-Expert*innen im Bildungsbereich. Mehr Informationen zur Stellungnahme findest du hier.

  • Schweden hat komplett auf gedruckte Schulbücher verzichtet – das spricht aber nicht generell gegen Digitales in der Schule. Schweden hatte auf einigen Schulstufen gedruckte Schulbücher komplett ersetzt, was problematisch sein kann und nun rückgängig gemacht wird. Doch daraus lässt sich nicht ableiten, dass digitale Medien generell ungeeignet sind. Es zeige vielmehr ein Missverständnis, digitale Medien nur als Ersatz für Schulbücher zu betrachten und das Lesen auf Bildschirmen pauschal als schlechter zu bewerten.
  • Schweden vergass Weiterbildung der Lehrkräfte – das spricht aber nicht generell gegen Digitales in der Schule.
    Bei Schwedens letzter Digitalisierungsinitiative wurde die Weiterbildung der Lehrkräfte vernachlässigt, was tatsächlich problematisch ist. Daraus lässt sich jedoch nicht pauschal ableiten, dass digitale Medien in der Schule generell bedenklich sind.

Welche Einstellung hast du? Wie unterrichtest du und welche Erfahrungen hast du gemacht? Deine Gedanken und Erfahrungen sind wichtig und wir freuen uns über jeden Kommentar.

 

 

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