Das «Inverted Classroom Model» (ICM) auch bekannt als «Flipped Classroom», ist eine Lehrmethode, die die traditionelle Struktur des Unterrichts umkehrt. Im Beitrag wird das Modell erläutert und mit neusten Forschungsergebnissen ergänzt.

Das Bildungskonzept, bekannt als Flipped Classroom in den USA und Kanada, hat auch in Europa Fuss gefasst. In Ländern wie Deutschland und Norwegen ist es unter dem Begriff Inverted Classroom Model (ICM) bekannt.

Traditionelle Lehre vs. Inverted Classroom

Das Konzept des Inverted Classroom Modells besteht darin, traditionelle Lernmethoden umzukehren: Anstelle von gemeinsamer Wissensvermittlung im Klassenzimmer und individueller Vertiefung zu Hause, lernen Schüler*innen zuerst den Stoff zu Hause und nutzen die Zeit im Unterricht für gemeinsames Üben und Anwenden des Gelernten. Ziel ist es dabei, mehr Zeit für die Anwendung und das gemeinsame Lernen in der Klasse zu haben. 

ICM-Phasenmodell 

Estes et al. (2014 zitiert nach Morisse, 2019) schlugen ein dreistufiges Modell zur Umkehrung des Unterrichts vor: die Phasen vor dem Unterricht (Modellierung, Vorbewertung), während des Unterrichts (Klärung von Konzepten, Lösung von Problemen) und nach dem Unterricht (Bewertung, Anwendung, Transfer)

Quelle: Morisse, 2019

Die Anfangs- und Endphase (vor und nach dem Unterricht) wurde von den Schüler*innen im Fernunterricht zu Hause durchgeführt, wobei eine digitale Plattform und geeignetes Unterrichtsmaterial verwendet wurden. Die Zwischenphase (in der Klasse) findet im Klassenzimmer statt, wobei aktive und partizipative Lehrmethoden eingesetzt werden. Im «umgedrehten Klassenzimmer» werden die Schüler*innen aufgefordert, die Informationen, die sie ausserhalb des Klassenzimmers erworben haben, zu kombinieren und mit  ihren Mitschüler*innen zu diskutieren. 

Rethinking flipped learning – Umgedrehtes Lernen überdenken

Kapur et al. (2022) untersuchten mithilfe von Meta-Analysen , wie effektiv umgedrehtes Lernen tatsächlich ist.

Eine Schlüsselbotschaft lautet: Beim Beurteilen der Effekte des Flipped Learning muss bedacht werden, wie es umgesetzt wird. Es darf nicht angenommen werden, dass Flipped Learning überall gleich ist, als ob es nur eine Art von Aktivitäten in Flipped und normalen Klassen gäbe.

Es zeigte sich, dass Flipped Learning den grössten Effekt hatte, wenn der Unterricht eine Vorlesung umfasste. Das lässt vermuten, dass der Hauptvorteil des Flipped Learning darin liegt, dass die Schüler*innen zweimal oder länger der Erklärung und dem Verständnis des Dozierenden ausgesetzt sind. Es geht nicht unbedingt um die aktive Teilnahme der Studierenden.

Eine Untersuchung von Störfaktoren unterstütze diese Ergebnisse. Es scheint, dass es die erhöhte Exposition, die zusätzliche Zeit, Übungen oder das Wiederholen sind, die das Flipped Learning effektiv machen und die Lernergebnisse der Studierenden verbessern.

Alternativ Vorschlag: Fail, Flip, Fix und Feed

Wie bereits erwähnt, umfasst das umgedrehte Lernen zwei Phasen: eine vorbereitende (Online-)Vorlesung, gefolgt von einer Diskussion und Ausarbeitung in der Klasse. Die Ergebnisse aus der Untersuchung haben gezeigt, dass ein solches Zwei-Phasen-Modell nicht effektiver ist als ein traditionelles Modell, wenn man die Art der Umsetzung berücksichtigt. 

Kapur et al. (2022) fordern aufgrund der jüngsten Fortschritte in den Lernwissenschaften weitere Forschung zu den Themen Fail, Flip, Fix und Feed. Denn entscheidender sei vielmehr der Einbezug des aktiven Lernens. Eine besonders aktive Lernstrategie sei dabei die Konfrontation der Schüler*innen mit der Problemlösung vor der Unterrichtsstunde bzw. Vorlesung. Das Paradigma «Unterricht zuerst» sei grundsätzlich problematisch. 

  • Fail: Den Lernenden wird die Möglichkeit geboten, zu diagnostizieren, zu überprüfen und zu reflektieren, was verstanden wurde und was nicht. Dieser Vorschlag ist eine unmittelbare Folge der wichtigen Erkenntnis, dass die Problemlösung, wenn sie vor dem Unterricht stattfindet, sei es im umgekehrten oder im traditionellen Unterricht, einen positiven Einfluss auf das Lernen hat. 
  • Flip: Vorab-Einführungen zum Inhalt der kommenden Unterrichtsstunde z. B. mithilfe eines Videos, Podcasts o.ä. Dieser Vorschlag steht im Einklang mit der Logik des Modells «Flipped Learning». Allerdings sei die Vorab-Einführung gewinnbringender, wenn eine «Fail»-Phase vorausgegangen ist.
  • Fix: Im Unterricht werden Missverständnisse aufgedeckt und Gelegenheiten geboten, um Inhalte erneut zu besprechen. Traditionelle Vorlesungen werden als effiziente Form zur Erreichung der Fix-Phase beschrieben
  • Feed: Feedback ist ein wesentlicher Bestandteil aktiven Lernens. Rückmeldungen an Schüler*innen, insbesondere in Form von Formativen Beurteilungen, verbessern die Lernergebnisse.

Quellen:

ETH Zürich (o.J.). Flipped Classroom. [28.7.23]

Kapur, M., Hattie, J., Grossmann, I. & Sinha, T. (2022). Fail, flip, fix, and feed – Rethinking flipped learning: A review of meta-analyses and a subsequent meta-analysis. [28.7.23]

Morisse, K. (2019). Der umgedrehte Unterricht und seine Folgen. [28.7.23]

Schäfer, A. M. (2012). Das Inverted Classroom Model. In Sperl, A. und Handke, J. (Hrsg.) das Inverted Classroom Model. S. 3-12-

Universität Zürich (o.J.). Flipped Classroom. [28.7.23]

 

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