Beim internationalen Lesekompetenztest PIRLS 2021 (Progress in International Reading Literacy Study), erzielten schwedische Schüler*innen weniger gute Ergebnisse als noch fünf Jahre zuvor. Mit 544 Punkten waren es rund 11 Punkte weniger als noch im Jahr 2016. Obwohl Schweden mit dem 7. Platz gut abschnitt und gleichauf mit Taiwan ist, hat dieses Ergebnis dazu geführt, dass die Digitalisierungsstrategie an Schulen zurückgefahren wird.
Bildungsministerin Lotta Edholm, die ihr Amt letzten Herbst antrat, kündigte bereits im Mai an, die Digitalisierungsstrategie an Schulen zurückzufahren und wieder stärker auf traditionelle Bildungsmethoden zu setzen. Der digitale Unterricht soll reduziert und auf Kindergarten und Vorschule sogar ganz verboten werden. In Zukunft sollen vermehrt wieder Schulbücher zum Einsatz kommen.
Diese Ankündigung veranlasst uns dazu genauer hinzuschauen, welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Digitalisierung und der Lesekompetenz? Und schliesslich, wie steht es um die Lesekompetenz in der Schweiz?
Stavanger-Erklärung
Ein umfassendes Forschungsprojekt, welches sich mit dem Einfluss der Digitalisierung auf das Lesen auseinandersetzte, ist die Stavanger-Erklärung zur Zukunft des Lesens. Am vierjährigen Forschungsprojekt waren rund 130 Wissenschaftler*innen beteiligt, dessen Ergebnisse 2019 in Stavanger, Norwegen diskutiert wurden.
Die Erklärung stützt sich auf Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Bildschirmlektüren oft kürzer ausfallen und die räumliche Orientierung beim Online-Lesen schwieriger ist. Besonders bei Sachtexten, die eine vertiefte Lektüre (Deep Reading) erfordern, wurde ein «Bildschirmunterlegenheitseffekt» festgestellt: Papier ermöglicht ein besseres Textverstehen und Wiedergeben von Inhalten. Interessanterweise konnten bei narrativen Texten diese negativen Effekte nicht festgestellt werden.
Neuere Studien beschäftigen sich mit den Lesezeiten und dem Erinnerungsvermögen (cued call) beim Lesen von Sachtexten auf Papier, einem Computer oder einem iPad. Dabei liessen sich Unterschiede zwischen geübten und weniger geübten Leser*innen ausmachen. So lasen weniger geübte Versteher*innen unter den digitalen Bedingungen schneller als unter den gedruckten und zeigten eine geringere Erinnerungsleistung. Das zeigt, dass insbesondere bei Leser*innen, denen es an geeigneten Lesestrategien mangelt, ein Unterlegenheitseffekt des Bildschirms auftreten kann. Über alle Lesemedien hinweg blieb die Erinnerungsleistung von geübten Leser*innen gleich, obwohl sie in der Computerbedingung geringfügig mehr Zeit zum Lesen benötigten als in der Printversion oder auf dem iPad.
Nur wer flüssig und verstehend liest, wer über das Gelesene reflektieren und daraus Schlüsse ziehen kann, ist eine gute Leserin, ein guter Leser.
Tresch, C., 2020, S. 24
Und wo steht die Schweiz?
Die Schweiz war nicht Teil des Lesekompetenztestes PIRLS 2021, allerdings liefert die letzte PISA Studie Aussagen zum Stand der Lesekompetenz in der Schweiz. In der PISA Studie 2018 ist die Lesekompetenz in der Schweiz im Vergleich zum Jahr 2015 um 8 Punkte gesunken. Schon 2015 konnte sich die Schweiz nicht vom OECD-Durchschnitt abheben. Insgesamt zeigen diese Ergebnisse der standardisierten Test auf, dass die Lesekompetenz der Schüler*innen in den getesteten Bereichen gesunken ist.
Allerdings ist es wichtig anzumerken, dass die Ergebnisse zur Lesekompetenz aus der PISA 2018-Studie nicht direkt auf die Digitalisierung und den Einsatz von digitalen Medien in der Schule zurückzuführen sind. Die PISA-Studie 2018 zeigt allerdings, dass in der Schweiz ein deutlicher Zusammenhang zwischen Lesefreude und Leseleistung besteht und die Lesefreude bei 15-Jährigen abnimmt. Deshalb: Lasst uns die Freude am Lesen stärken!
Quellen:
Focusonline (2023). Digitaler Vorreiter zieht die Handbremse. [8.11.23]
Frankfurter Allgemeine (2019). Zur Zukunft des Lesens. [10.11.23]
Gold, A. (2023). Auch digitales Lesen will gelernt sein! [10.11.23]
J.J. Stiegler-Balfour, Z. S. Roberts, A. S. LaChance, A. M. Sahouria, E. D. Newborough (2023). Is reading under print and digital conditions really equivalent? Differences in reading and recall of expository text for higher and lower ability comprehenders. [13.11.23]
Maik, P. (2018). Analoges schlägt Digitales – schöne alte Lesewelt. [8.11.23]
Moser, U. (2002). Eine Beurteilung der PISA-Ergebnisse der Schweiz. [14.11.23]
ORF (2023). Mehr Feder und Bleistift statt Tablet. [10.11.23]
PIRLS (2021). PIRLS 2021 International Results in Reading. [10.11.23]
PISA 2018 (2019). Schülerinnen und Schüler der Schweiz im internationalen Vergleich. [13.11.23]
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI (2018). PISA. [10.11.23]
Tresch, C. (2020). Lesen analog und digital: Wohin geht die Reise? [8.11.23]
3 Anworten auf „Back to the roots – Lesen lernen analog statt digital“
Die Diskussion um die Wahl der Lernmethoden beim Lesenlernen ist interessant und meiner Meinung nach sehr relevant. Es ist wichtig, die ganzheitliche Leseentwicklung zu reflektieren und eine ausgewogene Integration traditioneller und moderner Lehrmethoden zu fördern.
Ein grosser Nachteil des digitalen Lesens besteht darin, dass sich Kinder leicht ablenken lassen von den Tausenden von Möglichkeiten, die Handy oder Tablet sonst noch bieten. Wenn sie ein Buch in der Hand haben, sind die Ablenkungsmöglichkeiten viel geringer, und es fällt ihnen einfacher, sich auf den Leseprozess einzulassen. Es ist Aufgabe der Schule, die SuS vor der digitalen Überflutung ein Stück weit zu beschützen und ihnen Räume zu bieten, in denen sie sich Kompetenzen analog aneignen können. In diesem Sinn ist eine Entdigitalisierung in gewissen Bereichen des Lernens begrüssenswert.
Liebe Regula
Herzlichen Dank für dein Interesse an unserem Blogbeitrag und deinem Kommentar. Es ist gut vorstellbar, dass die zusätzlichen Möglichkeiten, welche Tablets, Handy & Co. bieten, die Konzentration im Leseprozess erschweren können. Die Entschleunigung welche durch das Lesen in einem Buch erreicht werden kann, ist sicherlich ein begrüssenswerter Nebeneffekt in der heutigen Zeit.
Herzliche Grüsse
Team Trendscouting